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Kay Schweigmann-Greve

Der jüdische Blick auf die Welt – die Jüdische Bibliothek Hannover




Hier haben schon israelische Literaturgrößen wie Mira Magén oder Eshkol Nevo ihre Werke vorgestellt: Die erst knapp zehn Jahre alte Bibliothek der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover ist über die Gemeindegrenzen hinaus bekannt und geschätzt. Über 10.000 Bände in fünf Sprachen – neben deutschen auch Werke auf russisch, englisch, jiddisch und hebräisch –, außerdem Lern- und Lehrmaterial finden sich in den Regalen.



Träume von einer jüdischen Bibliothek in Hannover im Zusammenhang mit der Liberalen jüdischen Gemeinde hatte es bereits lange vor dem Umzug in das eigene Gemeindezentrum Etz Chaim (Baum des Lebens) im Stadtteil Leinhausen gegeben. Als mit den Plänen für das Gemeindezentrum deutlich wurde, dass diese Ideen eine reale Grundlage erhalten würden, fanden noch in den alten Räumlichkeiten in der Eintrachtstraße in Hannover erste Planungstreffen statt. Im Dezember 2007 wurde die Israel Jacobson Gesellschaft e.V. gegründet, die bis heute als organisatorischer Rahmen und Träger der Bibliothek fungiert.



 

Wo einst die Musik spielte: Lesung in der ehemaligen Orgelempore.




Die Bibliothek in der Orgelempore


Bei der konkreten Planung, wie aus der Gustav-Adolf-Kirche in Hannover-Leinhausen das jüdische Gemeindezentrum Etz Chaim werden solle, erhielt unser Verein die Möglichkeit, die ehemalige Orgelempore über bzw. neben der neuen Synagoge zu beziehen. Der rund 80 Quadratmeter große Raum erhält seinen besonderen Charme durch die doppelte Stockwerkhöhe. Die Bücherregale reichen bis zur Decke, der obere Teil ist über eine Balustrade zugänglich.


Die Planungen sprachen sich in der Gemeinde und ihrem Umfeld schnell herum: 2012 zogen wir bereits mit einigen Bücherkisten in die neuen Räume ein.

Der Verein arbeitete von Anfang an ehrenamtlich, Raumkosten, Reinigung und Nebenkosten trägt die Liberale Jüdische Gemeinde. Zwar ist es mit Hilfe der Gemeinde und der Bundesagentur für Arbeit möglich, immer auch stundenweise Honorarkräfte einzusetzen, die Hauptarbeit wird jedoch von einem über die Jahre weitgehend konstanten Kreis von Ehrenamtlichen der Israel Jacobson Gesellschaft geleistet.


Diese Arbeit besteht im Einwerben von Bücherspenden – die mit der Zeit sehr reichlich flossen –, der Auswahl der Bücher und deren Katalogisierung. Wir entschlossen uns recht früh für das Katalogsystem Elazar, das für jüdische Bibliotheken in Nordamerika entwickelt wurde. Gleich zu Beginn erhielten wir eine Großspende von vielen hundert Büchern von einer ehemaligen Bibliothekarin aus Hamburg, die ihr ganzes Leben lang Judaica gesammelt hatte. Weitere große Buchgeschenke, aber auch viele Kleinspenden folgten.


Die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen lernten schnell, dass der Weg von einer Sammlung vieler interessanter Bücher zu einer ordentlichen Bibliothek weit ist: Jedes Buch muss bewertet werden: Aufnahme? Wenn ja, welche Signaturstelle im Katalog ist die richtige? Anschließend muss das Buch in der elektronischen Maske aufgenommen, ein Etikett gedruckt und aufgeklebt werden, erst dann kann es ins Regal wandern.



Mitglied im Vielsprachigen Bibliotheksverbund Babylon

Große Unterstützung erhielten wir durch die Hannoversche Stadtbibliothek, die uns von Anfang an den Zugang zum GBV, dem gemeinsamen wissenschaftlichen Bibliotheksverbund der norddeutschen Bundesländer, ermöglichte. Dort wird unser Bestand digital katalogisiert. Dieser Schritt wurde allen im „Vielsprachigen Bibliotheksverbund Babylon“ zusammengeschlossenen freien hannoverschen Bibliotheken ermöglicht. Neben unserer Bibliothek sind das zwei iranische Bibliotheken, die Hannah-Arendt-Bibliothek und die der Ezidischen Akademie Hannover. Alle diese Bibliotheken halten Literatur nicht nur auf Deutsch bereit. Unsere Jüdische Bibliothek sammelt Bücher auf Deutsch, Russisch, Englisch, Jiddisch und Hebräisch. Der größte Teil unseres Bestandes sind deutschsprachige Bücher, ebenso gibt es einen interessanten russischsprachigen Bestand, der überwiegend von Gemeindemitgliedern genutzt wird, sowie eine Sammlung von mehreren hundert jiddischen Büchern, hauptsächlich israelischer Provenienz.


Doch welche Bücher sollen den begrenzten Platz, der unserer Bibliothek zur Verfügung steht, einnehmen? Bald bestand Konsens unter den Aktiven, dass Gegenstand unserer Sammlung der „jüdische Blick auf die Welt“ sein sollte. Was bedeutet dies aber konkret? Wenn ein jüdischer Autor ein Buch über ein jüdisches Thema schreibt (z.B. Gershom Scholem, Die Jüdische Mystik), so ist das einfach zu entscheiden, bei jüdischen Belletristen (z.B. Scholem Asch, Die Hexe von Toledo) ebenfalls, auch ein nichtjüdischer Autor, der die jüdische Welt beschreibt (z.B. Christoph Schulte, Jüdische Aufklärung, Thomas Mann, Joseph und seine Brüder) gehört dazu.


Hier beginnen jedoch die Diskussionen: Angesichts der guten anderweitigen Zugänglichkeit theologisch-christlicher Perspektiven auf Juden, Judentum oder Israel nehmen wir Bücher dieser Richtung nur ausnahmsweise auf. Auch Darstellungen zur Zeit des Nationalsozialismus, zu Tätern und zum Holocaust sind – über wichtige Standardwerke hinaus – nicht unser Sammelgebiet, Biographien und Erinnerungen von Überlebenden der Schoa dagegen schon – wir besitzen mehrere hundert davon. Außerdem verweisen wir per Link auf die Homepage NS-Zeit in Hannover, die dieses Thema besonders für ein jüngeres Publikum bearbeitet. Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Antisemitismus: Eine jüdische Bibliothek darf dieses Thema nicht aussparen, ein ausgesprochener Sammelschwerpunkt ist es jedoch nicht.



Spiegel des aktuellen jüdischen Lebens

Wichtig ist uns dagegen die Präsentation aktuellen jüdischen Lebens in allen seinen Formen – jüdische Kochbücher gehören hier ebenso dazu wie zeitgenössische jüdische Autoren aus aller Welt. Bei uns finden sich neben Tora, Babylonischem Talmud (in der aramäisch/englischen bilingualen Steinsaltz-Ausgabe) und Responsen, Werke jüdischer Denker von Maimonides über Hermann Cohen bis Walther Benjamin und Mordechai Kaplan, jüdische Belletristik, Darstellungen jüdischer Geschichte und Literatur zum Lande Israel. Unsere Sammlung jüdischer Kinderbücher findet ihren regelmäßigen Einsatz im Kindergarten und in der Jugendarbeit der Gemeinde. Ein Anschaffungsschwerpunkt ist in den letzten Jahren israelische Literatur in deutscher Übersetzung. Auch zeitgenössische jüdische Autoren russischer und englischer Sprache sind bei uns zu finden.


Unsere Zielgruppe beschränkt sich nicht auf die Gemeindemitglieder und das Umfeld, wir bieten Schüler*innen und Student*innen, aber auch jedem anderen Interessierten in der Region Hannover unsere Bücher zur Lektüre an. Wer möchte, kann sich – etwa für die Abfassung eines Schulreferates – nach Terminabsprache auch bei der Lektüreauswahl beraten lassen. Die Benutzung der Bücher in der Bibliothek ist kostenfrei. Für die Ausleihe benötigt man einen Leseausweis, der wie bei der Hannoverschen Stadtbibliothek 20 Euro im Jahr kostet. Wer unsere Arbeit darüber hinaus unterstützen will, kann auch in den Trägerverein selbst eintreten.


Schon seit vielen Jahren findet, meist am ersten Mittwoch im Monat, ein Vortrag zu einem jüdischen Thema aus Literatur, Musik oder Geschichte statt. Lange Zeit gab es hierzu ein russischsprachiges Parallelprogramm. Unsere Bibliothek hat sich so zu einem Zentrum jüdischen Kulturlebens entwickelt.



Dr. Kay Schweigmann-Greve ist Vorsitzender des Trägervereins der Jüdischen Bibliothek Hannover


Auf der Website der Jüdischen Bibliothek ist der gesamte Bestand im Online-Katalog recherchierbar.



Titelbild: © IMAGO / epd




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