Die Bibliothek des Taube-Lehrstuhls für Jüdische Studien in Wrocław

Der langjährige Leiter des Taube-Lehrstuhls für Jüdische Studien in Wrocław (Breslau), Marcin Wodziński, scherzt oft, dass unser Lehrstuhl die am schnellsten wachsende akademische Einheit der Welt sei. Als Jerzy Woronczak 1993 einen Lehrstuhl für Jüdische Studien an der Universität Wrocław einrichtete – der erste Lehrstuhl dieser Art in Wrocław seit dem Holocaust –, war er der einzige Mitarbeiter. Heute, nach mehr als 30 Jahren, besteht unser Team aus 17 Professoren und Mitarbeitenden, die Studierende auf BA-, MA- und PhD-Niveau unterrichten. Was Wodziński in der Regel nicht erwähnt, ist, dass auch die Bibliothek der Fakultät in fast demselben Tempo wächst. Wir wagen zu behaupten, dass sie sich im Laufe der Zeit zu einer der wichtigsten jüdischen Bibliotheken in Polen, wenn nicht sogar in Ostmitteleuropa entwickelt hat.
Die Geschichte der Bibliothek begann Anfang der 2000er Jahre, als der Lehrstuhl für Judaistik noch Teil des Instituts für Polonistik war. Damals befand sich die Bibliothek in einem schmutzigen, fensterlosen Raum im Gebäude der Polonistik, der vom Boden bis zur Decke mit Büchern und Zeitschriften zur Judaistik vollgestopft war. Als die Professur 2018 zu einem eigenständigen Fachbereich aufgewertet wurde, zog die Bibliothek mit um in die neuen Räume, die sich in einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert auf der Sandinsel im historischen Zentrum von Wrocław befinden. Heute wird der wachsende Bestand der Bibliothek in einem speziellen Magazin aufbewahrt und steht den Lesern – auch solchen, die nicht Universitätsangehörige sind, – in zwei Lesesälen zur Verfügung.
Gegenwärtig verfügt die Bibliothek über zwei Arten von Beständen: Bücher und Zeitschriften einerseits und Archivbestände andererseits. Der Buch- und Zeitschriftenbestand umfasst rund 14.000 Bände. Der größere Teil besteht aus akademischer und populärer Literatur der Nachkriegszeit zum Thema Judentum, überwiegend in lateinischer Schrift. Allerdings ist die hebräischsprachige Sammlung in jüngster Zeit beträchtlich angewachsen. Darüber hinaus besitzt die Bibliothek mehrere tausend Bände hebräischer und jiddischer Quellen, unter anderem über 5.000 literarische Werke in jiddischer Sprache.
Großzügige private und institutionelle Spender
Der Kernbestand der Bücher- und Zeitschriftensammlung wurde mithilfe großzügiger Schenkungen aufgebaut. Seit Mitte der 2000er Jahre bedachten private und institutionelle Spender aus Polen und dem Ausland die Bibliothek mit bedeutenden Schenkungen, darunter das Jüdische Historische Institut in Warschau, das Yiddish Book Center in den USA, der Philanthrop Alex Lauterbach, die Historiker David Engel, Jonathan Webber und zuletzt Moshe Rosman. Darüber hinaus ist in der Bibliothek auch die vollständige jiddische Sammlung der Ortsgruppe Wałbrzych des TSKŻ (Sozial-kulturelle Vereinigung der polnischen Juden) zu finden. Diese Sammlung ist eine einzigartige Quelle, die es ermöglicht, die Geschichte der jiddischen Volkskultur im Polen nach dem Holocaust abseits der großen Zentren Warschau oder Łódź zu erforschen.

Blick in einen Bibliotheksraum (© Dominka Hull)
Die größte und großzügigste Schenkung stammt von Ada Rapoport-Albert vom University College London. Sie war eine der führenden Expertinnen für Chassidismus, Sabbatianismus und jüdische Mystik, mit einem besonderen Interesse an den Erfahrungen von Frauen in all diesen Bereichen. Ada Rapoport-Albert baute diese einzigartige Sammlung zu einer Arbeitsbibliothek für moderne jüdische Studien aus. Sie spiegelt daher ihre akademischen und nichtakademischen Interessen sowie ihre beruflichen und persönlichen Netzwerke wider.
Ein einzigartiger Lesesaal
Die Tatsache, dass es sich um eine eigenständige Einheit innerhalb der Bibliothek handelt und dass sie sich in Wrocław und nicht in Großbritannien oder in Israel befindet, unterstreicht ihre Einzigartigkeit. Wir haben alle Bücher, die den Forschungsschwerpunkten von Rapoport-Albert entsprechen, in einem eigenen Lesesaal gesammelt. Heute ist dieser Lesesaal der einzige in Polen, der fast ausschließlich der jüdischen mystischen Tradition gewidmet ist, vielleicht sogar der einzige in ganz Ostmitteleuropa.
Neben Büchern und Zeitschriften besitzt die Bibliothek drei große Archivsammlungen. Zwei davon dokumentieren die Geschichte von zwei Institutionen, die für das jüdische Leben in der Nachkriegszeit in der Region von entscheidender Bedeutung waren: das Regionale Komitee der Polnischen Juden und die Sektion Wrocław der Sozialen und Kulturellen Vereinigung der Juden in Polen. Der dritte Bestand ist die Archivsammlung von Ada Rapoport-Albert – Manuskripte, Entwürfe, unveröffentlichte Vorträge, Karteikarten, Ephemera und vieles mehr. Die Sammlung wird derzeit katalogisiert und zugänglich gemacht.

In der Bibliothek des Taube-Lehrstuhls (© Natalia Lindner)
Seit 2017 wird die Bibliothek von Dr. Monika Jaremków geleitet, einer Absolventin des Instituts für Bibliothekswissenschaft der Universität Wrocław und des Zentrums für Jüdische Kultur und Sprache. Sie ist Expertin für jüdische Buchkultur und ihr demnächst erscheinendes Buch untersucht die Geschichte der modernen Übersetzung jüdischer Bücher ins Polnische. Während sie die einzige fest angestellte Bibliothekarin bleibt, hat sie die notwendigen Mittel für ein Team von Praktikanten und studentischen Teilzeitkräften einwerben können. Gegenwärtig arbeiten Studierende und Praktikant*innen der Bibliotheksfakultät an der Bearbeitung, Inventarisierung und Aufstellung der Bücher. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, unsere Sammlungen kennen zu lernen, neue Fertigkeiten zu erwerben und ihre Sprachkenntnisse durch den praktischen Umgang mit hebräischen und jiddischen Büchern zu verbessern.
Die Bibliothek ist an fünf Tagen in der Woche geöffnet und wird nicht nur von unseren Studierenden und Dozent*innen genutzt, sondern sowohl von einer breiteren akademischen Gemeinschaft in Breslau als auch Wissenschaftler*innen der Jüdischen Studien in Polen und im Ausland. Im Hauptlesesaal finden ein monatlicher Buchclub statt, sowie unregelmäßig Buchpräsentationen, Vorträge und andere Veranstaltungen.
Monika Jaremków ist Bibliothekarin am Taube-Lehrstuhl
Wojciech Tworek ist Assistenzprofessor am Taube-Lehrstuhl
Titelbild: Seit 2018 die Heimat des Taube-Lehrstuhls auf der Sandinsel (© Grzegorz Polak)
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