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Constanze Baumgart

Germania Judaica: Jüdisches Leben in seiner ganzen Vielfalt zeigen




Germania Judaica: Hinter dem lateinischen Namen verbirgt sich ein einzigartiger Bücherschatz. Die „GJ“ ist eine der größten Spezialbibliotheken weltweit zur Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums. Mit ihrem Anspruch, gleichzeitig eine Bibliothek für die Wissenschaft wie für die Öffentlichkeit zu sein, ist sie eine einzigartige Institution in Deutschland.



Heute umfasst der Bestand der Germania Judaica Werke aus fünf Jahrhunderten – von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Rund 100.000 Medien, neben Büchern etwa auch Zeitungsbände und CDs, finden sich in Freihandbereich und Magazin. Diesen Umfang und das weltweite Renommee, das die Bibliothek genießt, hätten sich ihre Gründerväter (und später auch Gründermütter) sicher nicht träumen lassen. Die Anfänge waren steinig, der Verein mehr als einmal in seiner Existenz bedroht.



Eine Kölner Bürgerinitiative und ein späterer Nobelpreisträger


Der Start des Projekts Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts ist einer Kölner Bürgerinitiative zu verdanken. Erster Ideengeber war der Buchhändler Karl Keller. Immer wieder kamen junge Leute auf der Suche nach Literatur über das Judentum zu ihm in die Buchhandlung. Doch konnte er ihnen kaum etwas empfehlen. Keller erkannte, wie sehr es an einer wissenschaftlichen Spezialbibliothek zum deutschsprachigen Judentum mangelte. Es gab in jenen Jahren keine Einrichtung in Deutschland, die Material aus der Zeit vor Nazi-Diktatur und Holocaust in konzentrierter Form anbot. Weder an Universitäten noch in Bibliotheken konnten sich Interessierte profund über Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums informieren.



Hinzu kam die Erkenntnis, dass „die Wahrnehmung dessen, was geschehen war ... nicht stärker, sondern schwächer“ wurde.



In dem Schriftsteller und späteren Nobelpreisträger für Literatur Heinrich Böll und dessen Kollegen Paul Schallück, dem Journalisten Wilhelm Unger, im Kölner Kulturdezernenten Kurt Hackenberg und dem Verleger Ernst Brücher fand Keller schnell engagierte Bundesgenossen. 1959 war es dann soweit: Aus der Bürgerinitiative wurde ein privater Verein mit dem Zwecke „zur Aufhellung des deutsch-jüdischen Verhältnisses beizutragen“, wie es die Satzung formuliert. Dieses Ziel vor Augen sollte eine Büchersammlung aufgebaut werden, die für Laien ebenso geeignet und zugänglich sein würde wie für Wissenschaftler.


 

Von links nach rechts: Geschäftsführerin Dr. Jutta Bohnke-Kollwitz und Bibliothekar Günter Derendorf am ersten Standort der Germania Judaica, Merlostraße 24 (Foto: Andrea Kahl, © Germania Judaica); Dr. Jutta Bohnke-Kollwitz im Gespräch mit Heinrich Böll am zweiten Standort, Hansaring 97 (Foto: Max Jacoby, © Germania Judaica); Bundespräsident Gustav Heinemann besucht am 12.8.1971 die Germania Judaica (Foto: Max Jacobs, © Germania Judaica); Die erste Nummer des Bulletin der Germania Judaica (1960/61, Germania Judaica)




Die Gruppe wollte dem weiterhin vorhandenen und wieder aufkeimenden Antisemitismus etwas entgegensetzen. Man wollte kämpfen gegen alteingesessene Vorurteile, gegen Nichtwissen und falsches Wissen über das Judentum. Böll erinnerte sich 1984 in seiner Rede anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Bibliothek: Man habe „die Vernichtung des europäischen Judentums durch die Nazis ... ganz klar beim Namen nennen“ wollen. Hinzu kam die Erkenntnis, dass „die Wahrnehmung dessen, was geschehen war ... nicht stärker, sondern schwächer“ wurde (Kölner Ausgabe, Bd. 22, S. 391).


Dabei waren es auch ganz aktuelle Ereignisse, die die Gründerväter motivierten: Ende der fünfziger Jahre gab es eine erste größere antisemitischen Welle in der jungen Bundesrepublik. Weihnachten 1959 wurde etwa die gerade erst wiederaufgebaute und -eröffnete Synagoge in der Kölner Roonstraße geschändet.



Eine Bibliothek für alle


Die Qualität der heutigen Sammlung beruht zu einem entscheidenden Teil darauf, dass die Bibliothek so früh nach Ende der Nazi-Diktatur angefangen hat, ihren Bestand aufzubauen. Trotz Verfolgung und Ermordung der Menschen, trotz Zerstörung materieller Schätze gab es immer noch vieles, was Weltkrieg und Holocaust überdauert hatte – häufig in den Emigrationsländern. Und so besitzt die Germania Judaica heute nicht nur eine Fülle einschlägiger Standardtitel, sondern auch zahlreiche Rara – besonders seltene und wertvolle Stücke wie kostbare Schriften und Drucke – und rund 500 Zeitungen und Zeitschriften. Das reicht von den Gemeindeblättern der jüdischen Gemeinden bis hin zu Raritäten wie „Sulamith. Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter den Israeliten“ – der ersten deutsch-jüdischen Zeitschrift von 1806. Blätter wie diese wären heute nicht mehr greifbar oder aber für die Bibliothek unerschwinglich.


 

Buchtitel aus dem Bestand der Germania Judaica, darunter: 2. Reihe Mitte: Borech Riwkin, Jidische Dichter in Amerike, Buenos Aires 1959 (jiddisch); unten: Hagadah, oder Erzählung von Israels Auszug aus Egypten, neu bearbeitet und mit Musik-Beilage von Isaac Offenbach, Köln 1838




Der Bogen der Sammlung ist thematisch weit gespannt. Ziel war und ist, jüdisches Leben in seiner ganzen Vielfalt zu zeigen. Die Sammelgebiete umfassen

  • Geschichte des deutschsprachigen Judentums von der Aufklärung bis zur Gegenwart

  • allgemeine jüdische Geschichte und Kultur: Religion – Kunst – Erziehungswesen – Soziologie – Juden in außerdeutschen Ländern

  • Zionismus und Israel: Palästina – Staatsgründung – Nahostkonflikt – Einwanderung – Siedlungsformen – Kultur – Reiseberichte

  • Darstellung von Juden und Judentum in Literatur und Film: Romane - Dramen – Jugendbücher – Sekundärliteratur

  • Periodika: über 500 verschiedene deutsch-jüdische Zeitungen und Zeitschriften; circa 150 laufende Abonnements

  • Antisemitismus


Zum Themenfeld „Antisemitismus“ gehört auch eine Sammlung antisemitischer Schriften, die im „Giftschrank“ im Magazin verwahrt werden. Ungewöhnlich für eine wissenschaftliche Bibliothek ist die umfangreiche belletristische Sammlung. Dazu zählen deutsche und israelische Autoren, Klassiker ebenso wie aktuelle Neuerscheinungen. Auch eine große Auswahl von Kinderbüchern hat die Germania Judaica in ihren Beständen.



Aufbewahrungsort für jüdisches Kulturerbe


Die Erfolgsgeschichte der Bibliothek war zu Beginn nicht abzusehen. Nur finanziert durch Spenden und Mitgliederbeiträge schwebte sie in ständiger Existenzangst. Als 1960 Jutta Bohnke-Kollwitz ihre Arbeit als Geschäftsführerin aufnahm, stand sie vor einem Glasschrank mit 180 Bänden. Es gelang ihr, zahlreiche Titel, die die NS-Zeit überstanden hatten, in Antiquariaten und Privatbibliotheken aufzustöbern. Tatkräftige Unterstützung und vor allem Bücher erhielt die „GJ“ darüber hinaus von der Wiener Library in London und den Leo-Baeck-Instituten in London und New York. Kontinuierliche Hilfe kam und kommt darüber hinaus aus Israel.


Es entstand, was sich die Gründer vorgestellt hatten: Eine Bibliothek zur Aufklärung und Wissensvermittlung und gleichzeitig ein Aufbewahrungsort für jüdisches Kulturerbe. Es war die große öffentliche Anerkennung, die die Stadt Köln in den siebziger Jahren dazu bewog, die Bibliothek dauerhaft zu fördern. Über viele Jahre beteiligte sich auch das Land Nordrhein-Westfalen.


Ihren besonderen Charakter, eine Fachbibliothek zu sein, die möglichst umfassend sammelt, und sich gleichzeitig an die interessierte Öffentlichkeit zu richten, hat sich die „GJ“ bis heute bewahrt. Umso wichtiger ist es den Verantwortlichen, in einer öffentlichen Bibliothek, der Kölner Stadtbibliothek, beheimatet zu sein. Dort, im Herzen „ihrer“ Stadt, ist die GJ seit 1979 zu Hause.



Dr. Constanze Baumgart




1965 berichtete das WDR-Fernsehen über die gerade mal sechs Jahre alte Germania Judaica


Jutta Bohnke-Kollwitz, die erste Leiterin der Germania Judaica, erinnerte sich 2008 im WDR 5.



Titelbild: Germania Judaica, Foto: Jörn Neumann, © Stadtbibliothek Köln




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